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Servicestelle Chancengleichheit

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Chancengleichheit in der Krise

Interview mit Prof. Dr. Katharina Schramm, Universität Bayreuth

Sie forschen viel zu Globaler Ungleichheit. Was macht es mit unserer Gesellschaft, dass nun besonders die Länder des globalen Nordens von Corona betroffen sind: Werden Ungleichheiten verstärkt oder werden eigene Schwächen stärker reflektiert?

Beim Nachdenken über die Frage fand ich es wichtig darauf zu achten, dass Ungleichheiten nicht nur entlang einer Nord-Süd Achse artikuliert werden. Stattdessen gibt es auch eine Verstärkung von Ungleichheiten wenn man nur auf den sogenannten „globalen Norden“ schaut. Zum Beispiel im Hinblick darauf, wie sich Lockdown Maßnahmen auswirken; oder auch die Gefährdung im Hinblick auf die Krankheit selbst. Bestimmte Menschen sind mehr von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit betroffen. Das kann man sich natürlich lokal, auf nationaler Ebene, oder in einem globalen Kontext anschauen. Jedoch verschärft sich auch hier die Situation, wenn wir uns die aktuellen Lebensbedingungen unterschiedlicher Familien anschauen.

Bestehende Ungleichheiten und Diskriminierungen die bislang vielleicht eher im Verborgenen lagen oder nicht so stark in der öffentlichen Wahrnehmung waren, werden natürlich auch verstärkt. Beispielsweise bei Wanderarbeiter*innen und Migrant*innen, die aktuell in Deutschland in Schlachtbetrieben oder in der Landwirtschaft arbeiten, und aufgrund der miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen besonders stark von Corona betroffen sind. Ich denke, das sind Dinge die man in den Blick nehmen muss.

Man kann das auch ausweiten auf die USA, wo überdimensional viele Schwarze und People of Color von der Krankheit betroffen sind und bei denen Todesfälle gehäuft auftauchen; oder auf die Lager auf den griechischen Inseln. Ungleichheiten findet man in sehr vielen Bereichen. Gleichzeitig hat man auch im Hinblick auf das Geschlechterverhältnis eine Verstärkung von Ungleichheiten, auch in der privilegierten Mittelschicht. Bei Akademikerinnen wurde festgestellt, dass sie kaum noch Publikationen einreichen, während es bei männlichen Akademikern sogar mehr Einreichungen gab. Hier sieht man sehr klar wie unterschiedlich Carearbeit verteilt wird. Als letzte Dimension ist mir noch die Altersdiskriminierung eingefallen. In Großbritannien wird gerade diskutiert alle Menschen über 70 in die Isolation zu schicken, damit andere wie gewohnt ihr Leben weiterleben können. Weiterleben im Sinne einer kapitalistischen Wirtschaft. All das sind Dinge die man sehen muss um zu begreifen, dass die Pandemie kein Gleichmacher ist. Man hörte ja oft Sprüche wie: „Das Virus macht vor keinen Gebieten halt!“ oder „Die Pandemie betrifft alle gleichermaßen.“ Aber innerhalb dieser Entwicklungen gibt es starke Differenzen. Ich denke auch dass es noch nicht absehbar ist wie sich die Pandemie auf den „globalen Norden“ oder „Süden“ auswirkt. Möglicherweise ändert sich die Wahrnehmung von Expertisen. Einige afrikanische Länder haben mit HIV, Ebola oder andere Pandemien bereits Erfahrungen. Vielleicht werden dort stärkere Kompetenzen wahrgenommen, vielleicht ändert sich auch allgemein das Verhältnis von  Wissenschaft und Politik?

Momentan scheint es als sei Corona das einzige Ereignis auf der Welt. Welche Themen dürfen nicht in den Hintergrund rücken?

Ich denke dass Covid-19 nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern in größere Fragen eingebunden werden muss. Da kann man mit Fragen vom Klimawandel und Klimagerechtigkeit anfangen. Natürlich schließen sich auch Fragen der Verteilungsgerechtigkeit an: Welches Leben hat welchen Wert bzw. und wie wird dieser Wert wahrgenommen und artikuliert. Judith Butler thematisierte dies mit dem Begriff grievable lives im Bezug auf Fragen von Migration. All das ist mit Covid-19 verbunden. Natürlich muss jetzt nicht jedes Forschungsgebiet auf Covid 19 runtergebrochen werden aber es ist ein interessanter Katalysator für Fragen der Ungleichheit.


Verantwortlich für die Redaktion: Silke Reimann

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