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Servicestelle Chancengleichheit

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Chancengleichheit in der Krise

Interview mit Prof. Dr. Susan Arndt, Universität Bayreuth

Covid19 ist eine Pandemie – trifft es alle gleich?

Pandemie bedeutet ja eigentlich, dass wir mit Covid19 vor einer globalen Herausforderung stehen. Allerdings wird diese nicht im globalen Schulterschluss angegangen. Solidarisches Miteinander klappt nicht mal innerhalb Europas Grenzen, geschweige denn über die sich gerade selbst verratene EU hinaus. Kaum etwas wird gegenwärtig so nationalistisch gehandelt wie die Corona-Krise. Trump ist bestrebt, den USA allein Vorkaufsrechte beim Impfstoff zu sichern, der bislang kaum mehr als eine vage Hoffnung ist, und Wirtschaftsminister Altmaier verkündete im April 2020 stolz, dass Deutschland im Wirtschaftskrieg um Masken andere Länder überbieten konnte. Zwar schafften es Nachrichten aus Bergamo und New York in deutsche Nachrichtenformate. Doch schon Moria und Lesbos treffen auf wenig Erzählresonanz – schon gar nicht wird ausreichend kritisch darüber berichtet, dass Geflüchtete in Lagern eingesperrt werden – fernab jeder Möglichkeit, social distancing einzuhalten.

Wie spielen Privilegien hier rein?

Diskriminierung ist nicht so allgegenwärtig, weil sie Menschen unterdrückt und herabwürdigt. Nein, sie wehren sich ja. Sie kann vielmehr so omnipräsent werkeln, weil sie einem bestimmten Personenkreis etwas zu bieten vermag: Privilegien. Es ist sehr viel komfortabler, in der Annahme zu leben, dass die Welt so geschaffen sei, dass es mir besser gehen müsse als anderen und dass ich dazu berechtigt sei, Privilegien zu genießen – als mich deswegen schlecht fühlen zu müssen. Charakteristisch für Privilegien ist, dass sie aus globalen wie lokalen Macht- und Herrschaftskonstellationen heraus ohne aktives Zutun Einzelner zur Verfügung stehen – ja, dass sie nicht einmal leicht ausgeschlagen werden können und meist nicht einmal bemerkt werden. 
Eine dieser Druckmaschinen für Privilegien ist Weißsein. Im Verbund mit einem deutschen Pass steht weltweit kaum ein Privileg höher im Kurs. Warum sich an diesen Privilegien stören oder an den globalen Machtstrukturen, die diesen Wohlstand verheißen – auch wenn er auf Kosten anderer geht? Für viel zu viele fühlt sich das so ‚normal‘ und ‚richtig‘ an, dass sie keinen Handlungsbedarf sehen. Wo kein Schuldgefühl aufkommt, muss auch keine Verantwortung übernommen werden.
Jetzt aber ist etwas passiert, das dieses privilegiengesättigte Ruhekissen aufwühlt. Privilegien werden von vielen als Normalität, als Gewissheit angesehen. Das macht Privilegien so unsichtbar. Jetzt aber ist etwas passiert, das Deutschlands, Europas privilegiengesättigtes Ruhekissen aufwühlt. Die Illusion, immer auf der Sonnenseite des Lebens sitzen zu können, zerplatzt gerade wie eine Seifenblase. Mit so etwas hat niemand gerechnet. Nachdem sich Deutschland vor lauter Privilegien und der inbrünstigen Überzeugung heraus, dass Afrika und die MENA-Region zurecht Krisenregionen seien, die hierzulande niemanden etwas angehen müssten, in die Flüchtlingskrise hineinhalluziniert hatte, nun das: Eine echte Krise. Mitten in Deutschland, im Herzen Europas. Das schlägt hierzulande aufs Gemüt – und zwar nicht nur, weil es so viele Schwerkranke und Tote gibt. Für viele ist es ein Erstkontakt mit der Erkenntnis, dass das von Tupoka Ogette beschriebene privilegiengewöhnte weiße „Happyland“ verwundbar ist und Covid-19 keine Krise aus einem Hochglanzmagazin ist. Das Entsetzen hat viel damit zu tun, dass die Menschen in Deutschland nicht nur daran gewöhnt sind, dass es ihnen besser geht als Milliarden anderen Menschen. Sie sehen es als ihr Anrecht an. Deswegen ist die Corona-Krise im Kern auch eine „OMG: Es-kann-selbst-mich!-treffen-Krise“. In dieser Wahrnehmung fühlt sich bereits jede Abweichung vom Luxus als Krise an. Ein Beispiel: In einer der vielen TV-Sondersendungen zur neuen Lage weint eine Abiturientin bitterlich darüber, dass sie auf den Abistreich verzichten müsse, auf den sie sich seit der fünften Klasse freute. Eine Minute dauert dieses Tränenspektakel, welches mit einem Shot auf das überteuerte, nun nutzlose Abikleid im Schrank endet. Die afrodeutsche Rassismuskritikerin Noah Sow spricht diesbezüglich satirisch von „PBV.  Kurz für ‚privilegienbedingte Verweichlichung‘: Der Begriff ist eine Eigenprägung der Autorin im Zuge der Betrachtung des Nervenzusammenbruchs bei einer weißen deutschen heterosexuellen Frau, nachdem diese von einem Busfahrer nicht zurückgegrüßt wurde….PBV ist gefährlicher als die Schweinegrippe! Ca. 30 Millionen Deutsche sind infiziert.“ 


Wie äußert sich soziale Ungleichheit in der Covid19-Krise?

Covid-19 Viren unterscheiden nicht nach Alter, Herkunft, Pass, Geschlecht, der Position im Rassismus. Menschliche Antworten darauf allerdings passen sich der kapitalistischen Grammatik sozialer Ungerechtigkeit an. Auch wenn sich schon in Deutschland manche den Shutdown deutlich besser leisten können als viele andere, die mit Kurzarbeit und staatlichen Krediten haushalten müssen: er ist ein Privileg. Für Milliarden von Menschen in vielen afrikanischen, asiatischen, süd- und mittelamerikanischen Ländern aber gibt es nicht einmal diese Option. Für viele Tagelöhner sind Shutdowns ein Countdown zum Untergang. Wer weder Rücklagen noch ein Gehalt hat, muss arbeiten, egal wie prekär, und hat gleichzeitig wenig Chancen, ins Profil der Beatmungsmedizin zu passen. Hier wird der Aufruf zur Herdenimmunisierung zum eugenischen Weckruf im Sinne des „Survival of the Fittest“, doch auch ein Shutdown ist mehr als eine empfindliche finanzielle Einbuße. Die globale Rezession, welche sich schon jetzt weit über die aktuelle Pandemie hinaus als virulent auftut, kann weder durch einen Impfstoff verhindert noch durch ein Medikament kuriert werden. Prognosen mahnen, dass 35 bis 65 Millionen Menschen in tödliche Armutskonstellationen gestoßen werden; am schlimmsten wird es viele Länder in Afrika und Südasien treffen. Daran sind weder Viren Schuld noch von Armut diskriminierte Menschen. Es sind allein menschengemachte Ordnungen sozialer Ungleichheit, die Verantwortung tragen. Arbeitskräfte und Ressourcen aus den Kolonien beförderten die Industrielle Revolution, ohne an deren Errungenschaften beteiligt zu werden. Das wirkt sich bis heute auf kapitalistische Kartierungen der Welt aus – global ebenso wie lokal. 

Wirft Covid19 Feminismus zurück?

Wie jede Krise nötigt auch die Corona-Krise der Gesellschaft ihr wahres Gesicht ab. In Zeiten des shutdowns sind es vornehmlich Frauen*, welche die Mehrfachbelastung von Erwerbsarbeit, Hausarbeit und Kinderbetreuung schultern. In prekär bezahlten systemrelevanten medizinischen und sozialen Berufen sind sie ebenso überproportional vertreten wie sie exponiert häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Die Soziologin Jutta Allmendinger bewertet dies als backlash der Gleichberechtigung der Frauen. Diese werde um Jahrzehnte zurückgeworfen. Ich würde es anders formulieren. Auch wenn der Kampf um eine Gleichberechtigung aller Geschlechter Erfolge zeigte, Sexismus gab nicht auf, Menschen und deren soziale Ordnungen nach seinem ideologischen Weltbild zu kartieren. Zwar hatten viele das post-feministische Zeitalter ausgerufen – das taten sie aber der mächtigen Omnipräsenz des Sexismus zum Trotz.

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[1] Noah Sow. “PBV.” In Susan Arndt & Nadja Ofuatey-Alazard, Hrsg. Wie Rassismus aus Wörtern spricht. Ein Kritisches Nachschlagewerk. Münster: Unrast, 2011: 597.




Verantwortlich für die Redaktion: Silke Reimann

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