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Servicestelle Chancengleichheit

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Chancengleichheit in der Krise

Interview mit Prof. Dr. Kristin Skottki, Universität Bayreuth

Sie forschen zu mittelalterlicher Geschichte. Gab es vergleichbare Pandemien im Mittelalter?

In dem Zeitraum, den wir klassischerweise als „das Mittelalter“ bezeichnen (etwa vom 6. bis zum 16. Jahrhundert nach Christus), gab es sogar die ersten beiden bekannten Pandemien: 1) die sogenannte Justinianische Pest (541 bis 570 n. Chr.), die das oströmisch-byzantinische Kaiserreich zur Zeit des Kaisers Justinian erreichte; und natürlich 2) „Der Schwarze Tod“, also die große Pestpandemie, die zwischen 1347 und 1353 den Mittelmeerraum und Westeuropa erreichte. Jüngste Forschungen zeigen, dass beide Pandemien ihren Ausgang in der Qinghai-Tibet-Hochebene nahmen und vom selben Erreger, Yersinia pestis, ausgelöst wurden. Die zweite große Pestpandemie kostete jüngsten Schätzungen zufolge rund 40 bis 60 % der jeweiligen Bevölkerung in großen Teilen Asiens, Europas und Afrikas das Leben. Die Pest verschwand nach 1353 auch gar nicht, sondern wurde lediglich endemisch und hielt sich so u.a. in Europa noch bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts. So gesehen waren die mittelalterlichen Pestpandemien wesentlich schlimmer als die aktuelle Covid-19-Pandemie es hoffentlich jemals sein wird.

Wenn ja: Was war die Rolle der Frauen? 

Aus den vorhandenen Quellen kann meines Wissens auf keine besondere Rolle von Frauen in Zeiten der Pestpandemien geschlossen werden. Bei der Rekonstruktion von Geschichte, vor allem auch der mittelalterlichen Geschichte, sind wir ja immer auf die Zeugnisse der Vergangenheit angewiesen, die bis heute erhalten geblieben sind. Da es im Mittelalter aber keine staatlichen Strukturen wie heute gab und nur selektive Wissensbestände aufgeschrieben wurden, fehlen uns für viele Dinge, die uns heute interessieren, schlichtweg die Daten. Die vorhandenen schriftlichen Zeugnisse und auch Untersuchungen an Skeletten auf Pestfriedhöfen legen nahe, dass die Pest tatsächlich jeden ereilte – besonders betroffene Altersgruppen oder gar eine Geschlechterspezifik lässt sich nicht feststellen.

Interessanter finde ich dagegen, dass sich scheinbar vor allem weibliche Historikerinnen aktuell mit den mittelalterlichen Pandemien beschäftigen. Als Tipp zum Weiterlesen empfehle ich daher einerseits das Interview mit meiner Kollegin Carol Symes von der University of Illinois at Urbana-Champaign und ihr dort verlinktes Vorlesungsvideo (https://news.illinois.edu/view/6367/808169), und andererseits das komplett kostenlos downloadbare Themenheft der Zeitschrift „The Medieval Globe“ zu „Pandemic disease in the medieval world. Rethinking the Black Death“, herausgegeben von der Kollegin Monica H. Green (https://scholarworks.wmich.edu/medieval_globe/1/).

Was können wir aus dem Mittelalter lernen?

Etwas pessimistisch fällt mir als erstes dazu ein, dass die Menschen in der Regel ja nichts aus der Geschichte lernen und auch aktuell habe ich nicht das Gefühl, dass Geschichtsbewusstsein einen nennenswerten Einfluss auf die gegenwärtigen Überlegungen und Entscheidungen hat.

Aber es ist schon interessant, wenn nicht gar ironisch, zu sehen (wie schon Carol Symes bemerkte), dass wir trotz der zweifellos besseren hygienischen Umstände heutzutage und unserem enormen medizinischen Wissen und Vermögen der aktuellen Pandemie ausgerechnet mit einem wahrlich mittelalterlichen Mittel begegnen: Quarantäne. Reisebeschränkungen und die Isolation von infizierten Personen waren auch damals probate Mittel. Von der Regelung der Republik Ragusa (heute Kroatien) im Jahre 1377, von außen kommende Reisende und Händler für vierzig Tage (ital. quaranta giorni) in eigens dafür eingerichteten Lazaretten zu isolieren, stammt schließlich auch der Begriff „Quarantäne“.

Eines sollten wir aber unbedingt vom Mittelalter lernen: anders als viele Menschen damals sollten wir heute nicht auf die Hassprediger und Rassisten hereinfallen, die bestimmte Menschen- und Personengruppen für die Pandemie verantwortlich machen wollen! Denn an unzähligen Orten in ganz Europa wurden in der Mitte des 14. Jahrhunderts die Ausbreitung der Pest als Vorwand benutzt, um ganze jüdische Gemeinden auszulöschen – etwa die Hälfte der europäischen jüdischen Gemeinden wurde damals vernichtet. Zwar war der Vorwurf der Brunnenvergiftung gar nicht so weit verbreitet, wie man denken könnte, und es lässt sich auch für viele Orte nachweisen, dass die Juden schon teilweise Wochen bevor die Pest in einem Ort eintraf angegriffen wurden. Umso mehr zeigt dieses Beispiel aber, dass Hass und Hetze und nicht zuletzt auch Verschwörungstheorien in Krisenzeiten und Zeiten großer Verunsicherung schon immer leicht auf fruchtbaren Boden fielen und sowieso schon latent gefährdete Personengruppen durch eine klassische Täter-Opfer-Umkehr schnell zu Sündenböcken gemacht werden. Das sollten wir dieses Mal so gut es geht zu verhindern suchen!

Zeigt Covid-19 uns die Vor- oder die Nachteile der Globalisierung auf?

Eine Pandemie kann man wohl kaum als Vorteil irgendeiner Sache sehen. Epidemien und Pandemien sind stattdessen leider nicht völlig überraschende Risiken, die eine Vernetzung über größere Räume mit sich bringen kann. Das zeigen ja eben auch die beiden großen Pandemien des Mittelalters. Diese wiederum belegen, dass auch in der Vormoderne schon enge, stetige Austauschbeziehungen zwischen Europa, Asien und Afrika existierten, die man vielleicht sogar als eine frühe Form der Globalisierung verstehen könnte. 

Fragt man andererseits nach den „Vorteilen“ von Pandemien möchte ich mich ungern den zynischen Beobachtungen einiger Kolleg*innen anschließen, die feststellten, dass „Der Schwarze Tod“ das Problem der Überbevölkerung an vielen Orten auf natürliche Weise beseitigte. Beachtenswert finde ich aber deren Beobachtung, dass nach den verheerenden Seuchenzeugen viel über den richtigen Umgang mit knappen natürlichen Ressourcen nachgedacht wurde. Daran sollten wir uns auf jeden Fall ein Beispiel nehmen.  


Verantwortlich für die Redaktion: Silke Reimann

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